Spezielle Verbundenheit

Zwischen Menschen und Bäumen bestand schon seit Jahrtausenden eine besondere Verbindung. Der Stellenwert der Bäume in den alten Volkserzählungen rund um die wunderschöne Erde verwundert nicht. Bäume entstanden vor Urzeiten und gehören mitunter zu den ältesten Lebewesen auf unserem Planeten. Für unsere Ahnen waren sie schon allein aufgrund ihrer Grösse, des hohen Alters das sie erreichen können und ihrer natürlichen Mittlerrolle zwischen Himmel und Erde, faszinierend und geheimnisvoll. Nirgendwo spiegelt sich das Fühlen und Denken der Menschen so stark wider wie in Mythen, Sagen, Märchen und Bräuchen. Bäume nehmen darin oft eine zentrale Rolle ein, als Symbol für Stärke, Unbeugsamkeit, Schutz und Trost, aber auch als Symbol für die kosmische schöpferische Ordnung, den Beginn des Lebens und die Kraft der Liebe. Im Wald geschehen die erstaunlichsten Dinge, so zum Beispiel, dass Bäume miteinander kommunizieren. So umsorgen sie nicht nur liebevoll ihren Nachwuchs, sondern pflegen auch alte und kranke Nachbarn. Es klingt unglaublich, jedoch ist es wahr. Jeder einzelne Baum hat seine botanische Geschichte und vor allem seine gemeinsame Geschichte mit den Menschen. Seit es uns gibt, begleiten sie uns. Die Bäume spielten stets eine Hauptrolle in der Entwicklung der Menschen und im alltäglichen Leben. Sie spenden Schatten, bieten Bau und Heizmaterial, schenken uns ihre Früchte usw. Bäume wurden vielfach geschätzt, verehrt, genutzt und gefällt und sie prägten alle Kulturen. Fatalerweise ist uns dieses Bewusstsein in der heutigen Zeit weitgehend verloren gegangen. Als Symbol ist der Baum das Sinnbild des Lebens überhaupt und zwar ganz besonders in Form des Laubbaumes. Es werden auch nicht umsonst seit jeher zu bestimmten Anlässen Bäume gepflanzt, wie zum Beispiel zu Geburten oder zu anderen festlichen Ereignissen. Ich finde es immer wieder auf`s neue faszinierend, dass kein anderes Lebewesen mir so deutlich den Wechsel der Jahreszeiten aufzeigt wie die Lebensform Wald. In ihren Jahresringen ist sogar ihre Lebensgeschichte für Fachleute deutlich lesbar, denn sie erzählen von den guten wie auch von den schlechten Jahren. Könnten sie sprechen, dann wüssten sie sicherlich viel zu erzählen. Ebenso sind sie sehr sensibel und empfindlich, denn sie reagieren auf bestimmte Anzeichen, wie zum Beispiel auf die Erwärmung unseres Planeten durch den Klimawandel. Zudem sind sie auch schlau, denn sie entwickeln Massnahmen zur Abwehr von Fressfeinden und für ihre Vermehrung schaffen sie beste Bedingungen und passen sich an neue Umweltbedingungen an. Die besondere, über die Jahrtausende gewachsene Beziehung zwischen den grünen Riesen und den Menschen geht aber noch weit über das Offensichtliche hinaus.

«Bäume sind Heiligtümer», hatte der Schriftsteller Hermann Hesse in einer seiner Oden geschrieben. Er fügte hinzu: «Wer mit ihnen zu sprechen, wer ihnen zuzuhören weiss, der erfährt die Wahrheit. Sie predigen nicht Lehren und Rezepte, sie predigen...das Urgesetz des Lebens.»
 
Die Welt der Bäume gibt uns Kraft und Halt und weist uns gleichzeitig in luftige, lichte Höhen. Sie schenkt uns Ruhe und Gelassenheit und führt uns in die eigene Mitte. Sie verbindet uns mit der Natur und ihrem einzigartigen Wert und steht für eine Haltung der Achtsamkeit und Demut vor der Grösse der Schöpfung. Bei der Betrachtung eines Baumes rühren sich wunderbare Gedanken in mir.
 
 
So registriere ich meine innere Stimme, die mir sagt, der Baum steht stabil und bewegt sich im Wind, wir hingegen sind Wanderer, wir bewegen uns und suchen ständig nach neuen Erfahrungen. Er hingegen scheint Erfahrungen aus seinem nächsten Umkreis zu sammeln. Ein Baum ist ein Wesen voller ungebändigter Energie und Natürlichkeit, er ist ein Geschöpf der Schöpfung, eine Lebensform, die begeistet ist mit einem Impulsbewusstsein. Bäume haben wie alle Dinge eine individuelle Schwingung und Ausstrahlung. Es sind lebende Wesen mit Stoffwechsel, Wachstum, Geburt und Tod und sie vermögen uns Menschen auf vielfältige Weise zu berühren. Wer weiss, dass Bäume Schmerz empfinden und ein Gedächtnis haben und dass Baumeltern mit ihren Kindern zusammenleben, der kann sie nicht mehr so einfach fällen. Ein junger Baum ist nicht das Gleiche wie ein alter, das kann jeder leicht erfahren, denn er ermahnt uns, dass auch wir Wurzeln haben und uns entwickeln.
Viele der uralten Bäume werden heute mit erheblichem Aufwand gepflegt, häufig gehören sie zu einem Anwesen, Bauernhof oder zu Gemeinden, welche sich seit Generationen um einen Baum bemühen, weil er einfach zu ihrem Leben oder zur Familie dazugehört. Wenn man bedenkt, was allein ein Baum mit einem Alter von dreihundert Jahren bereits gesehen und erlebt hat! Vor dreihundert Jahren – das war lange vor dem Beginn der Industrialisierung. In diesem Zeitraum, da gingen viele geschichtliche Epochen vorüber. Doch leider haben wir den Respekt unserer Vorfahren längst verloren, denen Bäume noch heilig waren und erkannten, dass die alten Baumriesen eine ganz eigene Atmosphäre und Ausstrahlung besitzen.
Als ein Kind der Schöpfung fühle ich mich ihr zutiefst Verbunden und bewege mich deshalb in meiner Freizeit gerne in der Natur. Der Wald und die Bäume sind für mich ein Hort der Ruhe, bei einem Spaziergang durch den Wald schwingt meine Psyche in Harmonie und Ausgeglichenheit. In meinen Gedanken ist der Wald ein Symbol des Geheimnisvollen, Unbekannten, schwer zu durchdringen (ähnlich wie das Unbewusste des Menschen).
Bäume strahlen Stärke, Widerstandskraft und Harmonie aus. Ein Baum ist einzigartig und ein Unikat wie auch jeder Mensch ein Unikat ist. Wir entwickeln uns ebenso gemäss nach bestimmten Bedingungen anders und zwar, je nach den gegebenen Lebensvoraussetzungen. Der Mensch, wie auch der Baum, sind extrem licht- und sonnenabhängig. Es klingt ungewohnt, ist aber keinesfalls abwegig. Zu leicht vergessen wir, dass die Bäume eine elementare Voraussetzung für menschliches Leben überhaupt sind, denn ohne sie könnten wir nicht einmal atmen. Ohne Nahrung können wir wochenlang auskommen, auf Wasser können wir zwei bis drei Tage verzichten, wenn es sein muss, aber wird uns der Sauerstoff genommen, dann erlischt unser Leben in wenigen Minuten. Noch etwas geistert in meinen Gedanken herum: Können sich Bäume ausdrücken, und wenn ja, wie? Sie machen sich bemerkbar durch Duftstoffe als Ausdrucksmittel. Auch uns Menschen ist das nicht unbekannt, wozu sonst werden Deos und Parfüms benutzt, und selbst ohne deren Verwendung spricht unser eigener Geruch gleichermassen das Bewusstsein und Unterbewusstsein anderer Menschen an. Nach Ansicht der Wissenschaft sind die im Schweiss enthaltenen Pheromone sogar ausschlaggebend dafür, welchen Partner wir wählen und mit wem wir Nachkommen zeugen wollen. Wir besitzen demnach eine geheime Duftsprache und zumindest können das Bäume auch vorweisen. Duftbotschaften werden mit der Luft zu den nächsten Bäumen geweht um z.B. vorzuwarnen. Eichen, Buchen und Fichten, sie alle verspüren einen Schmerz, sobald jemand an ihnen herumknabbert. Wenn eine Raupe herzhaft zubeisst, dann verändert sich das Gewebe um die Bissstelle herum. Zudem werden dann elektrische Signale ausgesendet, ganz genauso wie es auch im menschlichen Körper geschieht, wenn dieser verwundet wird. Bekommen etwa die Wurzeln Schwierigkeiten, so breitet sich die Information im ganzen Baum aus und es kann dazu führen, dass über die Blätter Duftstoffe und bittere Gerbstoffe über Rinde und Blätter abgegeben werden, um den Baum zum Beispiel gegen Fressfeinde zu schützen. Allerdings breitet sich dieser Impuls nicht wie bei uns innerhalb von Millisekunden aus, sondern laut Wissenschaft mit nur einem Zentimeter pro Minute. Danach dauert es nochmal eine Stunde, bis Abwehrstoffe in die Blätter eingelagert werden, um den Patienten die Mahlzeit zu verderben. Bei den Bäumen geht das alles eben sehr langsam und trotz des geringen Tempos funktionieren die einzelnen Körperteile eines Baumes keineswegs voneinander isoliert, denn Botschaften werden auch über die Wurzeln geschickt, die mit allen Exemplaren vernetzt sind und von jedem Wetter unabhängig miteinander kommunizieren.
Die Natur verbindet uns mit der Schöpfung, von der wir ein Teil sind, darum fühle ich intuitiv eine Verbundenheit zur Natur und ganz im Speziellen zu den Bäumen. Meine Gedanken tendieren dahin, dass jeder Baum seinen eigenen Charakter und Charme besitzt, keiner gleicht dem anderen ganz genau. Es gibt immer Verschiedenheiten, wie auch bei uns Menschen, denn jeder Mensch ist eine eigenständig-individuelle Persönlichkeit.
Die Lebensform Wald weist ebenso eigene Charaktereigenschaften auf, denn jeder Wald besitzt seine ihm eigene Aura, die sehr speziell ist und somit kein Wald dem anderen gleicht. Jeder, der gerne und mit Liebe durch einen Wald wandert, ihn aufmerksam betrachtet und ihn auf sich wirken lässt, erkennt den speziellen Charakter, welcher einen jedem Wald ganz spezifisch eigen ist. Bei uns Menschen kann man es auch ‹Volkscharakter› nennen, denn jede Region unserer Länder ist spezifisch, besitzt ihr eigenes Flair, hat seinen eigenen Charme und seine ihm zugehörigen Charaktereigenschaften.
Karin Meier